25
Aug
2015
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Regenzeit in kambodschanisch Bullerbü

Nur einen Steinwurf von der Distrikt-Hauptstadt Sre Ambel entfernt liegt ein kleines Dorf zwischen Reisfeldern und Buddha-Tempel. Es ist gerade einmal so groß, dass man den Hahnenschrei von einem zum anderen Winkel noch gut hören kann. Und zwar sogut, dass manch ein Nachbar schon mal mit dem Gedanken spielt, (natürlich rein aus Versehen) einen Flip-Flop gegen den Kopf des Federviehs zu schmettern. Vielleicht verirrte sich ja dann das aufgeschreckte Tier auf die kleine Dorfstraße, und vielleicht käme ja just in diesem Augenblick ein Moped vorbei, dessen Fahrer genauso wenige Ambitionen für terrorisierende Kreischer hegte. Gemäß dem Motto „Matsche zu Matsche” wären die Spuren dieses Unfalls relativ fix mit der morastigen Konsistenz der Straße vereint. Ja, es ist halt Regenzeit. Und das bedeutet eben, dass man sein Moped ein wenig schlampiger durch die Grabenlandschaft lenken muss, was für die meisten aber insgeheim doch ein heidenspaß mit sich bringt. Auch für die vielen Kinder im Dorf, die sich jeden Tag in fein gewaschener Schuluniform und Sandalen den Weg durch die Suppe suchen. Da kann der Schulweg auch mal länger dauern, wenn man den einen oder anderen Frosch in der Pfütze findet. Für die Jungs bietet sich jetzt die beste Gelegenheit, das glitschige Etwas schnurstracks in die kreischende Mädchenmenge zu werfen. Und umgekehrt für die Mädchen: nun endlich mal kräftig draufzuknutschen – gemäß dem Fall, dass sie in der mitteleuropäischen Märchenwelt bewandert sind.

Wir befinden uns also immer noch auf der Straße des besagten Dorfes, irgendwo in Kambodscha, zwischen Buddha-Tempel und Reisfeldern. Etwa in der Mitte befindet sich das Eck: eine Hütte, ein bedachter Eingangsbereich und ein Röhrenfernseher, den man in Europa höchstens noch im Museum findet. Hier im Eck sagt die liebe Tante dem Dorfpolizisten mindestens einmal am Tag leidenschaftlich „Guten Tag”.
Und selbstverständlich auch dem Nachbarn mit dem nervigen Gockel. Und demjenigen, der den Gockel am liebsten entgockeln würde. Und demjenigen, der den Gockel dann … nun ja. Wie gesagt, es ist Regenzeit in Kambodscha. Da kuscheln sich die Dorfbewohner bei stärkeren Schauern auch schon mal gerne zusammen. Wenn dann schon mal ein Boxkampf in der Glotze läuft, muss zur Feier des Tages auch mal wieder der gute Reisschnaps auf den Tisch. Die liebe Tante schenkt gerne ein, während die Männer energisch den Kampf verfolgen. Dass es dann auch mal länger werden kann, ist dabei zweitrangig, denn der Reis wächst ja immerhin von ganz alleine, die Frau sitzt glücklich daheim und wäscht ebenso freudestrahlend die schlammigen Klamotten der Kinder. Diese Regenzeit ist für alle ziemlich spaßig.

Vom Eck aus schräg gegenüber steht ein leerstehendes Haus, das von außen einenziemlich gruseligen Eindruck macht. Wer einen ruhigen, ungesehenen Ort sucht, ist hier an der richtigen Adresse. Alle wissen, dass dieses Gebäude einmal eine Kirche werden sollte, die jedoch nach kurzer wieder schließen musste. Keiner glaubt daran, dass dieses Schlangennest mal ein Zuhause für sie alle sein sollte. Ein Ort, in dem jeder willkommen gewesen wäre. Ein Dach, dass ihnen Schutz geboten hätte vor Platzregen und praller Sonne. Eine Möglichkeit, sich die verschmutzen Füße zu waschen, das Moped abzustellen und sich eine kleine Pause zu gönnen. Eine Antwort auf die Frage, wer ihnen Jahr für Jahr diese Regenzeit schenkt. Stattdessen gehen sie alle mit einem großen Fragezeichen hier vorbei: die liebe Tante mit ihrem Reisschnaps, der Dorfpolizist, der Nachbar mit dem nervenden Gockel, der Reisbauer und die vielen Kinder, die Tag für Tag hier unterwegs sind zwischen Reisfeldern und Buddha-Tempel, nur einen Steinwurf von Sre Ambel entfernt.

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