16
Aug
2017
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Ein besonderer Tag

Heute ist wahrlich ein besonderer Tag. Allerdings einer derjenigen Tage, auf die man gerne verzichten würde wenn man könnte. Doch ich habe eine Lektion gelernt – oder mehrere. Das werden die nächsten Tage zeigen.

Die Vorgeschichte ist, dass wir ja einmal im Monat in die Hauptstadt Kambodschas, Phnom Penh, fahren um einzukaufen und Arztbesuche etc. zu machen. Im letzten Monat erzählte mir dann der mittlerweile gut bekannte Nachtwächter des Hotels, dass sein 12jähriger Sohn ein paar Tage zuvor auf dem Fahrrad von einem Fahrerflucht begehenden Auto erfasst wurde und Knochenbrüche erlitten hat. Heute traf ich ihn also wieder und auf meine Frage hin wie es ihm gehe, erzählte er mir sehr bedrückt, dass sein Sohn ja heftig auf den Kopf geknallt sei und nun irgend so ein Blutgerinnsel im Kopf hat. Das drückt und lässt ihn ständig erbrechen. Seit ein paar Tagen geht es ihm zunehmend schlechter. Er muss dringend operiert werden und morgen wird es wohl soweit sein. Er soll dann in einem der größten Krankenhäuser in PP operiert werden. Aber ehrlich gesagt würde ich dort nicht einmal eine Blinddarm OP über mich oder meinen Sohn ergehen lassen. Aber welche andere Wahl hat er? Keine! Dessen ist er sich bewusst. Ein anderes Krankenhaus kann er sich nicht leisten. Handy, Fernseher und was weiß ich sonst noch alles hat er schon verkauft. Er ist den Ärzten ausgeliefert. Fragen stellen darf er nicht. Da reagierten sie verärgert und sagten: „Du sollst hier keine Fragen stellen. sondern das Geld für die OP auf den Tisch legen und wir operieren dann. Fertig!“ Fertig? Was wenn … Er hat Tränen in den Augen und mir ist auch ganz elend. Vom Tod hab ich nämlich gerade die Nase gestrichen voll. Heute haben wir erfahren, dass gestern ein Freund von uns aus unserer Gemeinde gestorben ist. Er war so alt wie wir und ist als Pastor bei Umbauarbeiten in seiner Gemeinde ums Leben gekommen. Noch nicht mal eine Woche zuvor ist ein anderer junger Mann, Theologiestudent, aus unserer anderen sendenden Gemeinde bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Das war genug um mir der Endlichkeit des Lebens bewusst zu werden. Dazu brauchte es dann eigentlich auch nicht noch meinen fünfjährigen Sohn der mir heute im Auto sagte: Oma und Opa sterben bald. Warum? Antwort: Sie sind doch schon so alt! Klar, auch wenn meine Eltern in der Tat nicht mehr die jüngsten sind, rechne ich nicht mit ihrem baldigen Tod. Aber letztlich haben wir es nicht in der Hand und ich konnte nicht anders als dem Wächter zu versichern, dass wir für ihn und seinen Sohn beten.

Heute Abend schliefen schon alle und ich bin noch kurz auf die Dachterrasse gegangen um noch etwas zu essen. Dabei sah ich eine Gruppe junger Amerikaner zusammensitzen und Abendmahl feiern. Einer hielt eine Andacht und ich stellte mich dazu. Ich dachte mir: wie genial das doch ist, dass gerade diese Gruppe von Christen hier ist und auch mit für diesen Jungen beten kann. Ein paar fragende Gesichter schielten zu mir herüber während der Leiter einzelne aufforderte Bibelstellen vorzulesen. Schließlich dachte ich mir: Na gut, ist ja auch ein bissel komisch einfach so reinzuplatzen. Also tippte ich den jungen Kerl vor mir an und wir hatten so ungefähr folgendes Flüster-Gespräch:

Ich: Hi, hast du eine Minute Zeit für mich?
Er: Äh, Nein. Wir sind hier gerade bei …. (das Wort habe ich nicht verstanden)
Ich: Ja, das sehe ich. Aber ich hab da was Wichtiges und ich bitte dich kurz mitzukommen.
Er: Warum?
Ich: Weil ich etwas Wichtiges für die Gruppe habe und es über ihn der Gruppe mitteilen möchte.
Er: Dann kannst du ja hier warten bis wir fertig sind.
Ich: Nein, kann ich nicht. Meine Frau und Kinder sind unten. (Dass sie völlig k.o. unten lag und heute Dengue Fieber diagnostiziert wurde hab ich nicht erzählt)
Ich: Bist du morgen Abend noch hier im Hotel?
Er: Ja
Ich: Okay, dann sag ich dir morgen Abend warum es ein Fehler war nicht mitzukommen.

Das war eben. Und nun sitze ich hier und denke darüber nach, was ich vor ein paar Wochen in einer Predigt über den Propheten Amos gehört habe. Gott sagt seinem Volk, den Israeliten, in Amos 5 sinngemäß: „Ich bin eure religiösen Feste satt. Eure Gottesdienste widern mich an. Ich kann die Lieder nicht mehr hören.“ Und weiter macht Gott durch Amos klar, dass dies alles schön, gut und richtig ist, aber wie können sie Gottesdienst FEIERN wenn um sie herum alles in bodenloser Ungerechtigkeit versinkt? Oder bei Hosea, wo Gott seinem Volk klarmacht: „Denn ich habe Lust an der Liebe, und nicht am Opfer.“ Natürlich forderte und wollte Gott die Opfer. Aber für Gott steht die Haltung bei den frommen Werken über den Werken an sich. In 1.Korinther 13 macht Paulus auch noch einmal deutlich, dass jede gute Tat oder fromme Aktion ohne Liebe wertlos ist.

Und wäre auch nicht gerade das Abendmahl, was unter anderem den Gemeinschaftsaspekt der Gläubigen betont, der geeignete Rahmen gewesen um für die Anliegen anderer in Not zu beten? Ich will den jungen Mann heute Abend da oben nicht verurteilen. Vielleicht hätte ich genauso gehandelt. Aber die eigentliche Frage geht über die konkrete Situation hinaus: Bin ich so sehr mit meinen guten Aktionen oder ach so frommen Dingen beschäftigt, dass ich den einzelnen, der eine Not oder ein Bedürfnis hat nicht mehr im Blick habe? Bin ich mehr mit meinen Projekten für die Kambodschaner als mit den Kambodschanern selbst beschäftigt? Eine Lektion die ich heute gelernt habe und die mich neu herausfordert. Dich auch?


Update von Freitag 18.08 morgens:
Zuerst einmal: In allen Gesprächen mit dem Vater war immer die Rede von „dem Kind“ (goat). Warum auch immer dachte ich dass es ein Junge sei. Erst gestern habe ich herausgefunden, dass es ein Mädchen ist.

Die OP gestern Abend ist gut verlaufen. Nach der OP war sie wieder ansprechbar und konnte sehen. Das ist schon mal super. Bleibt zu hoffen und beten dass sich die Wunde nicht entzündet und/oder neuer Druck im Kopf aufbaut. Ich halte euch auf dem Laufenden.

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